ISLAM

Bedeutungsebenen

Es ist in der Tat sehr schwierig, alles was mit Islam in Verbindung gebracht wird, differenziert zu betrachten und richtig einzuordnen. Seien es irgendwelche Traditionen, wie z.B. die Beschneidung der Mädchen, Kriege oder Terrorakte; sobald sie in den sogenannten islamischen Ländern geschehen, werden sie als „typisch“ islamisch dargestellt. Dass diese Vorgehensweise falsch ist, wird weiter unten deutlich werden. Hier soll nun ein Hilfsmittel für eine Differenzierung verschiedener Phänomene geliefert werden.

Die lexikalische Bedeutung

Islam bedeutet wie bereits geklärt „Gottergebenheit“. So ist z.B. am Eingang über der Tür der Zentrumsmoschee in Hamburg der Koranvers: „inna ‚d-Dina ‚inda Allahi ‚l-Islam“ in arabisch, deutsch, türkisch und englisch mit „Wahrlich, die Religion bei Gott ist die Gottergebenheit“ richtig übersetzt worden.

Ein weiterer Koranvers könnte ebenfalls als Beispiel dienen: Sprich: „Wir glauben an Gott und an das, was auf uns herabgesandt worden ist und was herabgesandt wurde zu Abraham und Ismael und Isaak und Jakob und den Nachfahren, und was gegeben wurde Moses und Jesus und (anderen) Propheten vom ihrem Herrn. Wir machen keinen Unterschied zwischen ihnen, und Ihm ergeben wir uns (= Muslim). Und wer eine andere Glaubenslehre als die Gottergebenheit (= Islam) begehrt, nimmer soll sie von ihm angenommen werden, und im zukünftigen Leben soll er unter den Verlierenden sein.“ (3:85-86).

In Anbetracht der Tatsache, dass nach islamischer Auffassung Tauhid das wichtigste Glaubensprinzip ist, so dass von der Einheit Gottes, der Einheit der Menschheit und von der Einheit in der Schöpfung die Rede ist, gewinnt „Islam“ eine Bedeutung, die mehr als die Einheit der „gottergebenen“ Menschen darstellt. Alles was existiert (also auch ein Baum, ein Regentropfen, der Wind usw.), praktiziert den Islam, solange es seiner Bestimmung, d.h. dem Plan Gottes folgt, was wir ohne weiteres als die von Gott eingesetzten „Naturgesetze“ bezeichnen können. Selbst Sonne und Mond praktizieren Islam. Somit ist jeder natürliche Prozess (z.B. Tag und Nacht) und jede natürliche Handlung = Islam.

Der pakistanische Gelehrte Maududi schreibt in seinem Werk „Weltanschauung und Leben im Islam“ zu der Frage „Was ist Islam?“ unter anderem: „Sogar ein Mensch, der sich weigert, an Gott zu glauben, oder ein Idol anbetet, muss gezwungenermaßen ein „Muslim“ sein, soweit es seine körperliche Existenz betrifft. Denn während seines gesamten Lebens, vom Stadium als Embryo bis zur körperlichen Auflösung nach dem Tod, folgt jede Zelle seiner Muskeln und jedes Glied seines Körpers den für sie vorgeschriebenen Gesetzen Gottes. Selbst seine Zunge, die aufgrund seiner Unwissenheit Gott verneint oder eine Vielzahl von Gottheiten preist, ist ihrer eigensten Natur nach ein Muslim“ .

Islam als Urreligion

Die zweite hier vorgestellte Bedeutungsebene von „Islam“ bezieht sich auf das Wesen und den Kern jeder Religion.

In der Religionswissenschaft, aber auch in der Religionsethnologie wird die Frage gestellt, ob die Menschheit ursprünglich polyatheistisch oder monotheistisch gewesen ist. Aus islamischer Sicht ist es etwas völlig natürliches, dass es Gemeinsamkeiten zwischen den menschlichen Kulturen und Religionen gibt, denn laut Koran wurden zu allen Völkern zu verschiedenen Zeiten Gesandte Gottes geschickt mit der Botschaft Gottes in der jeweiligen Sprache des Volkes, und jedem Volke wurden je eigene Andachtsübungen aufgetragen.
Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang erwähnt werden muss, ist die Tatsache, das aus islamischer Sicht jeder Mensch mit der „natürlichen Veranlagung“ der Gottergebenheit geboren wird. Somit sind alle Kinder von Geburt an „Muslime“.

„Islam“ bekommt hier also eine umfassendere Bedeutung, da Gott kein Volk ohne Rechtleitung gelassen hat. Wie im oben zitierten Vers 3:85 zu lesen ist, glauben die Muslime (Gottergebene) auch an das, was den anderen Propheten von dem einen Gott gegeben wurde. Somit sind auch die anderen Propheten, z.B. Adam, Noah, Abraham, Moses und Jesus , nach islamischem Selbstverständnis Muslime (Gottergebene), und das, was sie verkündet haben, ist nichts anderes als Islam (Gottergebenheit). Jesus z.B. spricht in Sure 3:52: „Wer sind meine Helfer zu Gott ? Die Jünger sagten: Wir sind die Helfer Gottes. Wir glauben an ihn. Bezeuge, dass wir (ihm) ergeben sind“ (vgl. auch 61:14).

Aber nicht nur der Glaube an alle Propheten und Offenbarungen bildet eine gemeinsame Grundlage, sondern auch religiöse Praktiken wie beten und fasten, sind allen Religionen gemein. Somit ist es möglich, sogar mit Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen, Gemeinsamkeiten zu finden, da es keine Kultur ohne Religion gibt und alle Menschen gewissen ethischen Grundlagen folgen, die auf den „Urbund“ mit Gott zurückzuführen sind. Schließlich wollen alle Menschen, ob sie an den einen Gott glauben oder nicht, in Frieden und in Freiheit leben. Nicht ohne Grund ist der Begriff „Islam“ für viele Muslime auch identisch mit dem Begriff Silm (Frieden), der aus der gleichen Wortwurzel s-l-m gebildet wird.

„Islam“ als letzte Offenbarung Gottes an den Propheten Muhammad (D)

Diese Kategorie zeichnet sich dadurch aus, dass nach dem Propheten Muhammad keine Gesandten mehr kommen werden und die Offenbarung Gottes ihr endgültiges Stadium erreicht hat. In dieser Kategorie befinden sich alle religiösen Praktiken, die sich von den Praktiken anderer Religionsgemeinschaften unterschieden, wie z.B. das fünfmalige Gebet am Tag, die Zakat (soziale Pflichtabgabe), das Fasten im Ramadan, die Pilgerfahrt nach Mekka usw., die alle ihre speziellen Bestimmungen und Formen haben.

Wenn Muslime von „dem Islam“ reden, meinen sie meist diese Kategorie, denn hier werden nur jene Elemente als verbindlich anerkannt, über die es in allen islamischen Gesellschaften einen Konsens gibt. Es sind jene religiösen Elemente, über die es sichere schriftliche Quellen gibt, die dem Koran nicht widersprechen und die in ihrer Mehrheit offenkundig, klar und gut verständlich sind und somit als Grundlage des islamischen Glaubens dienen können (siehe näheres dazu, weiter unten unter 7. und 8.).

Als erste und wichtigste Quelle kommt der Koran, dessen Überlieferung und schriftliche Zusammenstellung als unverfälscht gilt, das mit dem arabischen Begriff „mutawatir“ bezeichnet wird. Das bedeutet, dass der Koran seit seiner Offenbarung an den Propheten Muhammad keine Veränderung durchgemacht hat und dass sein Text von unzähligen Gefährten des Propheten, genauso wie er uns heute vorliegt, auswendig gelernt, niedergeschrieben und auf verschiedenen Wegen überliefert worden ist. Darüber sind sich selbst nichtmuslimische Orientalisten einig, zumal mehrere Funde belegen, dass diese mit unserem heutigen Koran identisch sind. Der einzige Unterschied liegt darin, dass für nichtmuslimische Orientalisten, der Koran keine göttliche Offenbarung ist, sondern die Worte eines Genies namens Muhammad (siehe näheres zum Koran, unten unter 5.).

Die nächste Quelle wäre die Sunna des Propheten, die aus den verschiedenen Hadithsammlungen (Überlieferungen) gewonnen wird.
Der Begriff „Sunna“ wird im Koran ausschließlich für das „Verfahren“, bzw. „Vorgehen Gottes“ benutzt . Dieser Begriff ist vorkoranischen Ursprungs, so dass schon die heidnischen von ihm gebraucht machten, in dem sie den Gewohnheiten ihrer Vorfahren folgten, ohne diese zu hinterfragen. Der Koran aber lehnt diesen heidnischen Brauch ab: „Und wenn man zu ihnen sagt, sie sollen dem folgen, was Gott herabgesandt hat, sagen sie: „Nein, wir folgen dem, was wir als Glauben und Brauch unserer Väter überkommen haben“.“ (2:170 f.) Vielmehr verlangt der Koran: „ Ihr Gläubigen! Fürchtet Gott und sagt, was recht ist, dann lässt er euch eure Werke gedeihen und vergibt euch eure Schuld! Wer Gott und seinem Gesandten gehorcht, dem ist großes Glück zuteil geworden.“ (33:71)

Gott ruft die Menschen auf, sowohl seiner Offenbarung zu folgen, als auch seinem Gesandten:

„Sprich: Wenn ihr Gott liebt, so folgt mir. Lieben wird euch Gott und euch eure Sünden vergeben; denn Gott ist vergebend, barmherzig. Sprich: Gehorcht Gott und dem Gesandten…“ (3:30 f.) .
„Jene, die dem Gesandten folgen, dem des Lesens und Schreibens unkundigen Propheten, dessen Eigenschaften sie bei sich erwähnt finden, in der Thora und im Evangelium . Er gebietet das Rechte und verwehrt ihnen das Unrecht, und er erlaubt ihnen das Gute und verbietet ihnen das Schlechte…“ (7:157 f.).
„Sprich: Oh ihr Menschen. Ich bin wahrlich der Gesandte Gottes für euch alle…“ (7:158 f.).
„Wahrlich, ihr habt an dem Gesandten Gottes ein schönes Vorbild für jeden, der auf Gott und den Jüngsten Tag hofft und Gott häufig gedenkt.“ (33:21).
„…Und was euch der Gesandte gibt, das nehmt an; und was er euch untersagt, dessen enthaltet euch…“ (59:7).

Die Sunna, d.h. die Lebenspraxis des Propheten, lässt sich in zwei Kategorien einordnen. Die eine Kategorie lässt sich unterteilen in persönliche, kulturelle und normative Sunna. Die andere lässt sich unterteilen in das, was der Prophet gesagt, getan und gebilligt hat.

a) Zur Verdeutlichung der persönlichen Sunna des Propheten können Beispiele dienen wie, dass der Prophet Datteln mochte oder das er kein Knoblauch oder keine Zwiebeln aß. Wer der persönlichen Sunna des Propheten folgen möchte, darf dies ohne weiteres tun. Nur darf die persönliche Sunna nicht verallgemeinert und zur Norm erklärt werden.
b) Zur kulturellen Sunna gehören alle die Dinge, die für den Lebensraum der damaligen Muslime auf der arabischen Halbinsel typisch waren, wie z.B. mit der Hand zu essen. Auch das Befolgen dieser kulturellen Sunna ist jedem frei gestellt, darf aber ebenfalls nicht verallgemeinert werden. Auf der anderen Seite sei darauf hingewiesen, das bestimmte Kulturelemente durchaus auch ihre Daseinsberechtigung haben, solange ihr Sinn nachvollzogen werden kann. Das Essen mit der rechten Hand macht nämlich nur dann einen Sinn, wenn vor und nach dem Essen die Hände gewaschen werden und die Reinigung nach dem Stuhlgang mit Wasser immer mit der linken Hand vorgenommen wird. Diese Gewohnheit hat also einen bestimmten Grund und Sinn.
c) Die normative Sunna dagegen ist eine Ausnahme. Sie sollte von allen Muslimen befolgt werden. Dass der Prophet z.B. arabisch sprach und der Gebetsruf auf arabisch war, soll die Muslime nicht dazu veranlassen, dies auf den arabischen Kulturraum zu beschränken, sondern ist eine Sunna, die sich über Raum und Zeit hinwegsetzt und somit überall wo Muslime sind, zur Praxis gehört.

In der Befolgung der Sunna des Propheten sehen die Muslime besonders den Sinn, dass er als Gesandter Gottes, der den Koran empfangen hat, Gott am besten gedient und somit eine besondere Vorbildfunktion hat.

Eine weitere Besonderheit der Sunna ist, dass es viele Situationen gab, wo der Prophet die Offenbarungen erläutern oder ergänzen musste. Z.B. in Bezug auf das Gebet: Der Koran gibt keine direkten Anweisungen wann, wie oft und wie gebetet werden soll. In einer Überlieferung heißt es dagegen: „Betet so, wie ihr mich beten gesehen habt“ . Ein anderes Beispiel sind die Anweisungen des Propheten zur Zakat (soziale Pflichtabgabe), zu ihrer Höhe und über die Besitztümer, auf die Zakat fällt.

Was nun den Begriff „Hadith“ angeht, was „Erzählung, Bericht“ bedeutet, so wird dieser häufig als Synonym für Sunna benutzt. Einerseits wird eine bestimmte Überlieferung als Hadith bezeichnet, andererseits die Gesamtheit der Traditionen, die auf den Propheten zurückgeführt werden.

Wo anfangs die Traditionen noch mündlich überliefert wurden, hat es ab dem 8. Jh. umfangreiche Niederschriften des gesammelten Materials gegeben:

Die Muwatta des Malik ibn Anas (gest. 795) ist das älteste Rechtskompendium, das uns erhalten ist, was gesammelte Hadithe enthält. Das Werk ist im musannaf Form aufgebaut (d.h. geordnet nach Themen). Dann folgt das Werk von Ahmad ibn Hanbal (gest. 857), welches das älteste und berühmteste musnad Werk ist (geordnet nach Überlieferern).

Die berühmtesten sunnitischen Werke sind die Ìahihan, von alBuhari (gest. 870) und Muslim (gest. 874), dann folgen die Sunan Werke von Ibn Magah (gest. 866), Abu Daud (gest. 888), at-Tirmiyi (gest. 892), an-Nasai (gest. 915), adDarimi (gest. 868) und adDaraqutni (gest. 997).

Die berühmtesten schiitischen Hadithsammlungen sind von al-Kulaini (gest. 941), as-Sudduq (gest. 991) und at-Tusi (gest. 1067).

Im Hadith gibt es verschiedene Kategorien, nach der die Richtigkeit einer Überlieferung eingeschätzt wird, wobei eine Überlieferung zwei Teile hat:
a) Inhalt
b) Überliefererkette

a) Eine Überlieferung gilt als „echt“ bzw. „gesund“, wenn man gegen die Überliefererkette keine Bedenken hat und der Inhalt folgende Kriterien der Textkritik erfüllt:

1. Es darf nicht dem Koran widersprechen;
2. Es darf nicht der Vernunft widersprechen;
3. Es darf nicht den Erfahrungen widersprechen;
4. Es darf nicht den Tatsachen widersprechen;
5. Es darf keine unsinnigen Aussagen enthalten, welche man vom Propheten nicht annimmt;
6. Es darf keiner anderen gut belegten Überlieferung widersprechen;
7. Es darf keine unanständigen Reden enthalten.

Eine Kategorie darunter befindet sich eine Überlieferung, die als „gut“ oder „schön“ bezeichnet wird, in deren Überlieferungskette und/oder Inhalt man aber geringfügige Schwächen vermutet.

Als „schwache“ Überlieferungen werden jene bezeichnet, wo man an der Überliefererkette und/oder Inhalt starke Bedenken hat.

Außerdem gibt es noch eine Menge von Überlieferungen, die man ablehnt, weil sie als Fälschung entlarvt wurden.

b) Was die Überlieferungskette anbetrifft, sind folgende Kriterien zu befolgen:

1. Sicher ist eine Überlieferung, wenn sie von mehreren Seiten her überliefert wurde und die letzte Person in der Überlieferung (der Informant) Kontakt zum Propheten hatte. Nur diese Texte dürfen als Grundlage für die islamische Glaubenslehre verwendet werden.
2. Sicher ist eine Überlieferung, wenn sie auf mindestens drei verschiedenen Wegen überliefert wurde.
3. In die nächste Kategorie gehört eine Überlieferung, die von mindestens zwei verschiedenen Überlieferungswegen vermittelt wurde.
4. In die unterste Kategorie gehört eine Überlieferung, die von nur einer Quelle stammt .
5. Eine weitere Kategorie ist eine Überlieferung, die nicht bei einem Prophetengefährten endet, sondern in einer der Nachfolgegenerationen und/oder deren Inhalt Zweifelhaftes enthält.

Es geht in dieser Bedeutungsebene von „Islam“ auch wenn hier nur einige Merkmale der islamischen Lehre genannt wurden nicht um äußere Erscheinungen (Muslime beten zwar auch, aber doch anders als Christen), mit denen sich „der Islam“ definiert. Viel wichtiger ist es den Dingen auf den Grund zu gehen und über ihren Sinn nachzudenken. Deswegen sind in dieser Bedeutungsebene von Islam besonders die Primärquellen Koran und Sunna näher erläutert worden.
Wir können nämlich erst dann sagen, dass wir dieses oder jenes verstanden haben, wenn wir den Sinn dessen nachvollziehen können. Es genügt nicht zu sagen: „Ich weiß, dass Muslime fünfmal täglich beten“. Viel wichtiger ist es zu wissen, warum und was Muslime beten.

Islam als historische und kulturelle Größe

Wir beobachten heute eine kulturelle Vielfalt unter den Muslimen, die durch historische Entwicklungen und vorislamische Traditionen beeinflusst ist. Die ersten Muslime sind bereits im 7. Jh. aus der arabischen Halbinsel heraus in nichtislamische Länder gegangen. Dabei wurden sie von verschiedenen Motiven angetrieben. Die einen reisten, um den Islam zu verkünden, andere reisten für Handelszwecke und wieder andere dem Ausspruch des Propheten folgend, nach Wissen zu suchen, selbst wenn es in China wäre um Wissen zu erwerben.

Der Islam ist nach Afrika und Asien hauptsächlich über die sogenannten Wanderprediger (Mystiker) und Händler gelangt. Eine Ausbreitung des islamischen Glaubens durch Kriege hat es nie gegeben. Die kriegerische Ausbreitung des politischen Machtbereichs hatte niemals die „Bekehrung“ anderer zum Ziel. So haben die Muslime in vielen Ländern, in denen sie herrschten, über mehrere Jahrhunderte hinweg, als Minderheit gelebt. Die Geschichte Andalusiens ist ein Zeugnis islamischer Toleranz gegenüber Juden und Christen, die in der Menschheitsgeschichte, bis heute, seinesgleichen sucht.

Häufig werden von Nichtmuslimen, historische Vorfälle oder kulturspezifische Eigenarten eher mit „Islam“ in Verbindung gebracht, als die Lehre an sich, da diese den meisten fremd ist. Allein in der Bundesrepublik Deutschland leben heute mehr als drei Millionen Muslime aus insgesamt 42 verschiedenen Ländern. Diese Muslime brachten nicht nur unterschiedliche Eßgewohnheiten mit, sie haben auch verschiedene Sprachen und Traditionen mitgebracht. Trotz der nationalen und kulturellen Unterschiede begreifen sich aber alle als Muslime. Den Islam in der Bundesrepublik nun an den unterschiedlichen muslimischen Gesellschaften zu messen, ist in der Tat ein schwieriges, wenn nicht unmögliches Unterfangen. Viel einfacher und auch viel wichtiger ist es, diese Vielfalt unter den Muslimen, an der islamischen Lehre zu messen, die sich vor allem nach Koran und Sunna zu richten hat.

Es darf und kann nicht alles, was z.B. aus der Türkei kommt, als „Islam“ bezeichnet werden. Genauso wenig wäre es richtig, alles was aus den USA oder aus Russland kommt, als „Christentum“ zu bezeichnen.

Der Islam als Projektion

Bekannte und vor allem aktuelle Themen wie z.B. der „Heilige Krieg“, „Fundamentalismus“ und die „Frauenfrage“ werden häufig in einem Atemzug mit dem Islam genannt. Für viele Menschen sind diese am interessantesten, weil sich ihr Wissen meist nur auf sie beschränkt, wobei hier nicht von einem wissenschaftlich fundiertem Wissen die Rede sein kann, sondern eher von unreflektierten quantitativen Informationen. Außerdem sind diese genannten Phänomene Produkte der eigenen europäischen Kultur und somit nichts unbekanntes:

a) Heiliger Krieg
b) Fundamentalismus
c) Die Frau im Islam

a) Heiliger Krieg

Der Heilige Krieg ist ein aus der christlichen Geschichte stammender Begriff und ist dem Islam fremd. Kein Krieg kann heilig sein! Auf arabisch würde man zu so einem Krieg Harb Qudsi sagen, wobei dieser Begriff keine Verwandtschaft mit dem Begriff Cihad hat.

Der Begriff Cihad im Koran häufig in Verbindung mit …fi sabil Allah (…auf dem Wege Gottes) vorkommend hat in seiner Wortwurzel die Bedeutung von „sich bemühen, sich anstrengen, streben, kämpfen“ und wird im Deutschen oft falsch als „Heiliger Krieg“ wiedergegeben. Diese falsche Bezeichnung basiert auf dem europäischen Verständnis von Cihad, wobei Cihad im islamrechtlichen Sinne kein räumlich und/oder zeitlich begrenztes kriegerisches Unternehmen im Namen des Islam (auf staatlicher Ebene) bezeichnet, so wie es im Christentum in der Zeit der Kreuzzüge der Fall war. Es gibt auch keine Cihade im Plural, wie „Heilige Kriege“, da das Wort keinen Plural kennt.

Die Formulierung persönlicher „Einsatz“ oder „Kampf“, und zwar „für die Sache Gottes“ oder „Mühe aufwenden auf dem Wege Gottes mit personellen und materiellen Opfern“ trifft eher zu, wobei auch die Pilgerfahrt und das rituelle Gebet als Cihad gelten. Außerdem ist bei dem Begriff auffällig, dass er etwas bezeichnet, was „für“ und nicht „gegen“ etwas gerichtet ist. Deswegen ist „Heiliger Krieg gegen Ungläubige“ eine völlig falsche Übersetzung.

b) Fundamentalismus

Auch der „Fundamentalismus“ ist ein aus dem christlichen Kulturkreis stammender Begriff . Dieser wird heute häufig mit einem Atemzug mit Islam genannt, ist der islamischen Lehre jedoch fremd. Ein Synonym dazu ist der „Islamismus“, wobei besonders muslimische Intellektuelle, die „den Westen“ kritisieren, als „Islamisten“ bezeichnet werden. Unter diese beiden Begriffe werden all jene zusammengefasst, die auf irgendeine Art und Weise, allen unislamischen Einflüssen gegenüber Kritisch gegenüberstehen. Aber auch Muslime, die einfach nur ihre religiösen Pflichten wie beten und fasten befolgen, werden nicht selten als Fundamentalisten bezeichnet.

Da jedoch auch dieser Begriff zu falschen Assoziationen führen kann, sollten Muslime die Identifikation damit meiden.
Der Islam lehnt jede Form des Extremismus ab und lässt „Gewalt“ nur als Mittel der Verteidigung zu. Selbst in Extremfällen, wie z.B. Kriegen, gibt es im Koran und in der Sunna Vorschriften, „das Maß nicht zu überschreiten“. Eines der wichtigsten Ziele menschlichen Handelns sollte die Herstellung von Frieden sein. Wir lesen im Koran: „Und wenn sie sich dem Frieden zuneigen, dann neige auch du dich ihm zu, und lass vom Kampf (gegen sie) ab!“ (8:61).

c) Die Frau im Islam

„Die Frau im Islam“ ist eines der begehrtesten Themen, über die in nichtislamischen Kreisen diskutiert wird, wobei davon ausgegangen wird, dass „der Islam“ die Frau unterdrücke und dem Mann mehr Rechte gebe, als der Frau. Muslime weisen dieses aus dem Mittelalter stammende Vorurteil zurück . Vielmehr sind Mann und Frau vor Gott, sowohl in religiöser als auch in geistiger Hinsicht gleichwertig. Rechte und Pflichten von Mann und Frau sind im Koran offenbart: „Und die gläubigen Männer und Frauen sind untereinander Freunde. Sie gebieten was recht ist und verbieten was verwerflich ist, verrichten das Gebet, geben die Zakat und gehorchen Gott und seinem Gesandten. Ihrer wird sich Gott erbarmen…“. (9:71)

Eine Benachteiligung von Mädchen bzw. Frauen würde der Gerechtigkeit Gottes widersprechen. Männer und Frauen ergänzen sich in ihrer gemeinsamen Verantwortung für Familie und Gesellschaft. Mann und Frau können sich keine Befehle erteilen, außer in religiösen Angelegenheiten. Außerdem tragen beide die Verpflichtung dazu, den jeweils anderen für religiöse Verfehlungen zurechtzuweisen. Außer dem Recht auf sexuelle Beziehung, auf die beide in gleicher Weise Rechtsanspruch haben, kann der Mann rechtlich von seiner Frau nichts verlangen, auch keinerlei Dienste. Die Frau hingegen darf für jede Dienstleistung sogar für das Stillen ihrer Säuglinge Geld verlangen. Im Falle einer Ehe, hat die Frau das Recht auf einen Ehevertrag. Des weiteren gesteht der Islam beiden Geschlechtern das Recht auf Scheidung zu.

Die Kopfbedeckung (Thema „Kopftuch“) wird in nichtislamischen Kreisen als „Symbol der Unterdrückung“ verstanden, wobei auch hier negative Erfahrungen aus der eigenen europäischen Kulturgeschichte auf den Islam übertragen werden. Vielmehr symbolisiert die Bedeckung der Scham im Islam, genau das Gegenteil dessen:

Menschen (d.h. Frauen wie Männer) tragen in Extremzonen Kleidung, die sie vor Kälte oder vor Hitze und Staub schützen. Dies ist ein kulturelles Merkmal, das in vielen auch nichtislamischen Gesellschaften zu beobachten ist. Somit hat die Bedeckung des Körpers einen Schutzaspekt.

Vor der Zeit der Offenbarung des Koran hatten die Frauen in der arabischen Gesellschaft (eigentlich auch in anderen Gesellschaften) kaum Rechte. Z.B. durften Sklavinnen und Prostituierte keine Kopfbedeckung tragen, damit man sie als „rechtlose und unfreie Frauen“ von den anderen unterscheiden konnte obwohl das Tragen einer Kopfbedeckung im arabischen Kulturkreis üblich war. Als diese Frauen aber den Islam annahmen und zur Gemeinschaft der Muslime gehörten, hatten sie 1. Rechte (z.B. das Recht auf eine Brautgabe, das Recht, über alles in der Ehe erworbene zu verfügen (= Gütertrennung), das Recht zu Erben, das Recht auf Scheidung usw.), und 2. waren sie frei (d.h. sie wurden von den Muslimen freigekauft und dienten somit allein Gott und nicht mehr irgendwelchen Herren). „Muslim“ sein, bedeutet schließlich „gottergeben sein“. Somit wurde die Kopfbedeckung zum „Symbol der Befreiung“ aus der Sklaverei und der Prostitution, aber auch wieder zum „Symbol für den Schutz“ (durch die muslimische Gemeinschaft).

Auf diesen Aspekt, nämlich die Frauen vor „Belästigungen“ zu schützen, geht der Koran folgendermaßen ein: „O Prophet! Sprich zu deinen Frauen und deinen Töchtern und zu den Frauen der Gläubigen, sie sollen ihre Übergewänder über sich ziehen, damit sie erkannt und nicht belästigt werden.“ (33:59)

Und schließlich lesen wir im Koran: „O Kinder Adams. Wir gaben euch Kleidung, um eure Scham zu bedecken und zum Schmuck; doch das Kleid der Frömmigkeit ist das Beste .“

Das eigentliche Ziel einer solchen Einführung in den Islam, sollte es sein, den Menschen Muslimen wie Nichtmuslimen einen Einblick in die Lehre dieser Religion zu verschaffen. Da es sich wie bei den fünf Bedeutungsebenen um sehr komplexe Phänomene handelt, die mit Islam in Verbindung gebracht werden, empfiehlt es sich, einer bestimmten Methode nachzugehen, an deren Anfang Gott steht, und nicht der „Fundamentalismus“ oder irgend ein anderes Phänomen. Denn wenn man das Christentum erklären möchte, sollte man schließlich auch nicht mit den „Kreuzzügen“ oder dem katholischprotestantischen Krieg in Nordirland beginnen. Diese gehören nämlich in eine völlig andere Kategorie unserer Menschheitsgeschichte.